Mensch und Natur(a)

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Christian Müller - Biotopflege - Mahd

Vorstand Kaisaer Agrargenossenschaft eG, Biotoppflege im Nebenerwerb

Mein Name ist Christian Müller, ich bin 34 Jahre alt, verheiratet, habe zwei Kinder und wohne mitten in der Dahlener Heide im schönen Dorf Lausa.
Ich habe mein Studium als Dipl. Agrar-Ing. abgeschlossen und bin seit 2016 Vorstand der Kaisaers Agrargenossenschaft eG. Wir wirtschaften auf insgesamt rund 1400ha Acker- und Grünlandfläche, halten nach wie vor Rinder und betreiben Ackerbau auf heterogenen Böden mit unterschiedlichsten Bedingungen von der Elbaue in Belgern, an den Übergangslagen entlang bis tief in die Dahlener Heide hinein. Dadurch kennen wir auch alle Wirtschaftsformen, von intensiv bis sehr extensiv und nehmen vor allem im Gebiet von  Natura 2000 auf 25 ha an Grünlandmaßnahmen teil, die der Freistaat Sachsen anbietet. Diese sind GL.1-Maßn. für artenreiches Grünland, GL.2-Maßn. der Biotoppflege und GL.5-Maßn. mit speziellen Mahdterminen. Weiterhin sind Ackerlandmaßnahmen in Form von AL.1: Grünstreifen auf Ackerland sowie AL.5: Brachen und Blühflächen ein großer Bestandteil unseres Bewirtschaftungskonzeptes, welches sich grundsätzlich als extensiver aber eben immer noch konventioneller Anbau beschreiben lässt.
Wir haben in den zurückliegenden Jahren am „Betriebsplan Natur“ teilgenommen, einem weiteren Angebot des Freistaates Sachsen, federführend durch den Landschaftspflegeverband Torgau-Oschatz erstellt. Dieser hat uns sehr schön aufgezeigt, welche vielen Maßnahmen unser Landwirtschaftsbetrieb bereits im Hinblick auf die Verbindung von Nutzung und Naturschutz umsetzt und welche weiteren Maßnahmen möglich sind.
Außer Frage steht für mich in diesem Zusammenhang, dass ein heimisches Unternehmen der Landwirtschaft schwarze Zahlen schreiben muss, damit es im Wettbewerb bestehen kann - um hier vor Ort eine solche Strategie umzusetzen.

 

 Ort der Fotoaufnahme

Schulwiese, LRT 6410 Pfeifengraswiese und LRT 6230 Artenreicher Borstgrasrasen, FFH-Gebiet „Laubwälder der Dahlener Heide“, Vogelschutzgebiet „Dahlener Heide“, Landschaftsschutzgbebiet „Dahlener Heide“

Warum ist dieser Natur(a)-Ort für mich bedeutsam?

Die Schulwiese in Lausa liegt im FFH-Gebiet „Laubwälder der Dahlener Heide“. Diese Wiese ist ein Paradebeispiel für Biotoppflege, liegt sie doch inmitten eines Buchen-Erlen-Waldkomplexes mit sandigen Arealen und zwei Quellgebieten inmitten der Wiese. Somit sind von Seggen über Disteln bis Heidekraut eine sehr breite Palette an Pflanzen und somit auch an Insekten und Amphibien zu finden. Ziel der Biotoppflege ist hier vorrangig die Offenhaltung der Wiese, um den Baumbewuchs zu verhindern.
An diesem Ort, der in diesem Fall privater Natur ist, haben mich an meinem zehnten Geburtstag bei der Biotoppflege, die meine Familie seit Mitte der 90er Jahre betreibt, mehrere Erdwespen gestochen, sodass ich diesen Geburtstag auf der Kinderstation des KKH verbringen musste.
Über diese Bewirtschaftung im Sinne der Biotoppflege sowie unseren Vierseitenhof mit Hobbytierhaltung und Gartenbewirtschaftung bin ich zur Landwirtschaft im Sinne der Nahrungsmittel- und Rohstoffgewinnung gekommen.

 

 Definition Natur

Was ist „Natur“ für mich persönlich?

Natur ist alles um uns herum. Im Sachkundeunterricht in der Grundschule haben wir einmal in belebte und unbelebte Natur unterschieden. Kindern kann dies so vermittelt werden, jedoch passen diese Schubladen weder neben- noch übereinander zu Hause in den Flurschrank.
Natur ist das, was wir jeden Tag draußen erleben, angefangen von der Ackerkrume mit den vielen Bodenlebewesen darin, über die Pflanzen die sich diese als Lebensgrundlage erschließen, über Wasseradern, die in Quellen zu Tage treten, über die Sonne, die uns wärmt, über Wolken die abzuregnen beginnen, über Insekten die sich an Blüten ihre Energie zum Leben holen – alles ist Natur. Leben und Sterben – Werden und Vergehen. Dazu gehört auch der vermeintliche Schädling, der im Ackerbau die jungen Keimlinge abfrisst, noch bevor sie zu einer stattlichen Pflanze heranwachsen konnten. Dazu zählt auch der vermeintliche Parasit, der unseren Nutztieren im Fell krabbelt.
Flora und Fauna, aber speziell wir Menschen verändern diese Natur, zwängen sie ein, vernichten Lebensräume, schaffen Neue; aber eines ist klar: Die Natur bleibt erhalten, nur halt in einer anderen Vergesellschaftung der belebten und unbelebten Teile. Manchmal ändern sich aber auch nur die Rahmenbedingungen für Flora und Fauna (siehe Klimaveränderungen in der Erdgeschichte), sodass Arten hinzukommen oder andere von dannen ziehen. Die Natur schafft Leben und Leben heißt Veränderung - Tag für Tag.

 

Wert der Natur

Was macht aus meiner Sicht den Wert der Natur aus, was ist schützenswert?

Der Wert der Natur ist nicht messbar, nicht zählbar, nicht verhandelbar – sie ist da. Wir sind Teil der Natur. Ohne sie, ohne deren Nutzung und vor allem die Produktion von Sauerstoff gäbe es uns Menschen nicht.
Was mich beunruhigt sind nicht die Eingriffe des Menschen in die Natur per se, sondern die Geschwindigkeit, mit der diese seit der Industrialisierung und vor allem in den letzten Jahrzehnten von statten gingen. Dem Streben nach Wohlstand ist der Sinn für die Natur untergeordnet worden, weshalb wir nun bereits mehrere Generationen von Menschen erleben, die einfachste natürliche Zusammenhänge nicht mehr erkennen – von der Beobachtung der Natur ganz zu schweigen. Dabei ist es die Nutzung der Natur, der natürlichen Ressourcen, die allen Lebewesen ihr Dasein ermöglicht. Und was wir aus der Menschheitsgeschichte lernen können ist, dass die Natur mit den Eingriffen der Lebewesen und speziell der Menschen zu Recht kommt, solange sie ein gewisses Maß nicht überschreiten. Wo wären wir denn heute als Menschheit, wenn nicht vor 10.000 Jahren Menschen sesshaft geworden wären, ein Stück Wald oder Buschland urbar gemacht hätten, um Kulturpflanzen anzubauen. Wie hätten über Jahrhunderte die Menschen frieren müssen, wenn sie nicht ein Stück Holz in ihre Feuerstelle hätten werfen können.
Die Nutzung der Natur, der natürlichen Bedingungen und Ressourcen, teilweise wiederverwertbar, teilweise aufbrauchend, ist ein zentraler Baustein dafür, dass wir Menschen als Spezies heute im Wohlstand leben können – aber eben auch dafür, dass wir es heute mit unserem Wohlstand an vielen Stellen übertrieben haben.

Wie wertvoll ist es für mich in der Natur zu sein? Ich bin gern in der Natur, weil...

...ich Raum, Licht und Luft zum Atmen brauche. Ein dunkles Kämmerlein oder gar ein tageslichtfreier, klinisch reiner OP-Saal schrecken mich ab. Natur ist jeden Tag anders. Draußen kann man beobachten wie die Natur im Winter Stille hält, wie sie im Frühjahr erwacht, wächst und gedeiht, Insekten und Vögel sich den Luftraum erobern und wie sich im Sommer und Herbst die Kreisläufe mit dem Ausbilden von Samen und Früchten wieder schließen. Dazwischen passiert aber unheimlich viel.
Als Landwirt muss man jeden Tag neu planen, neu denken, neu organisieren. Kein Tag ist wie der andere. Die Jahreszeit und das Wetter sowie damit zusammenhängende Rahmenbedingungen wie Bodenfeuchte, Temperatursumme, Schädlingsdruck, Reifegrad, etc. machen jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr aufs Neue spannend.
Leider werden diese natürlichen Bedingungen in unserer von Konsum und Freizeit geprägten Gesellschaft von mittlerweile zu vielen gesetzlichen Regelungen und Vorschriften überlagert. Auch die Akzeptanz für die Arbeit in und mit der Natur ist nur noch begrenzt, egal ob im Erwerbs- oder Hobbybereich. Das Zitat eines älteren Arbeitskollegen kommt mir hier im täglichen Arbeitsprozess immer wieder in den Sinn: „Früher brachte der Nachbar eine Flasche Bier an den Feldrand, wenn wir sonntags arbeiteten - heute droht er mit dem Anwalt wegen Lärm, Gestank und Staub.“

Auf einer Skala von O (gar nicht) bis 10 (absolut), inwieweit sind Nutzung und Schutz der Natur aus meiner Sicht vereinbar? Was ist leicht, was ist schwierig?

Nutzung und Schutz der Natur schließen sich per se nicht aus. Jedoch muss man sich im Klaren darüber sein, dass jeder Eingriff in die Natur – und sei er noch so klein – eine Veränderung darstellt, bei der es Gewinner aber auch Verlierer gibt. Die Natur zu nutzen, ihr etwas abzuringen und sie vollumfänglich zu schützen - wobei hier beachtet werden sollte, dass alles im Fluss ist und auch der Schutz von Erhaltung bis Aufwertung ausgelegt werden kann - geht nicht ohne Kompromisse einher.
Wir leben in Nordsachsen in einer Kulturlandschaft, geprägt durch den Einfluss des Menschen. Als Landwirt stehen wir in den letzten Jahren stets am Pranger, dabei ist in den vergangenen Jahren auch so viel Gutes entstanden: das Mulchsaatverfahren hat enorme Bedeutung für den Schutz der Ackerkrume mit sich gebracht, die Humusgehalte haben sich erhöht und die Zahl der Bodenlebewesen hat sich vervielfacht. Die Rapsblüte bietet den Bienen nach wie vor eine reiche erste Tracht. In Getreidebeständen sind unzählige Spinnentiere zu finden, Rebhühner finden Deckung. Eine Späte Schnittnutzung im Grünland ermöglicht Rehkitzen wie auch unzähligen Insekten das sichere Überleben. Blühwiesen sind eine neue Form der reinen Dienstleistung der Landwirtschaft für den Naturschutz, bringen aber auch nicht nur Vorteile mit sich.
Dass eine bewirtschaftete Fläche, egal ob konventionell oder ökologisch, nie den vollen Naturschutzgedanken erfüllen kann ist doch vollkommen klar. Dieser Kompromiss ist aber notwendig, um uns Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen, sofern wir diese Versorgungssicherheit nicht auslagern wollen.

 

Persönlicher Bezug zur Natur

Zu welcher Gelegenheit bin ich in der Natur?

Jeden Tag - auf Arbeit und in der Freizeit.

Was mache ich am liebsten in der Natur?

Mit der Natur wirtschaften - gemeinsam, nicht gegen sie.

Wo fängt Natur für mich an?

Es gibt keinen Anfang und kein Ende - die Natur ist das Ursächlichste.

 

Persönlicher Bezug zu Natura 2000

Wo oder wie komme ich mit Natura 2000 in Berührung?

In welchem Zusammenhang habe ich zum ersten Mal von Natura 2000 gehört?

Ich hatte zum einen über die Acker- und Grünlandmaßnahmen in den Gebietskulissen sowie den Betriebsplan Natur bereits mehrere Verknüpfungspunkte mit Natura 2000.

Was wünsche ich mir von Natura 2000?

Ich wünsche mir die übergreifende Organisation eines gezielten und qualifizierten Biotoppflegemanagements, eine Vereinfachung von Gebietskulissen in der Antragstellung (oftmals liegen auf einer Bewirtschaftungseinheit mehrere sich nicht überschneidende Maßnahmen) sowie die Möglichkeit einer Honorierung von extensivem Ackerbau (ergebnishonorierte Einschränkung der Palette an Möglichkeiten).

 

Verhältnis Mensch und Natur

Was ist mir in Bezug auf das Verhältnis Mensch - Natur wichtig?

Die Menschen dürfen die Natur nicht durch die rosa-rote Brille betrachten. Natur ist schön, Natur ist aber auch grausam.
Außerdem sollten die Menschen wieder mehr Verantwortung für ihr Handeln übernehmen und sich selbst zu mehr Naturschutz verpflichten. Jeder Vorgarten kann zum Biotop werden statt zur Parkanlage oder Steinwüste.

Was macht mir Sorgen?

Sorgen macht mir neben der wirtschaftlichen Entwicklung vor allem die allgemeine Entfremdung vieler Menschen von der Natur bzw. umgekehrt die neue oberflächliche Herangehensweise und ein Schwarz-Weiß-Denken mit dem Ziel von 100%igem Natur- und Tierschutz.

Wenn alles möglich wäre, keine Grenzen gesetzt sind, dann würde ich mir folgendes wünschen und das ändern…

Ich wünsche mir, dass die Menschen wieder lernen die Arbeit und die Natur wertzuschätzen. Es geht oft nicht um den reinen finanziellen Wert einer Sache, sondern um den Weg, wie sie zu Stande gekommen ist. Nur so funktioniert unser Dasein in Verbindung mit dem Erhalt der Natur!